Hopsten-Schale. Anastacia Gartung ist Kasachin, lebt mit ihrer Familie in Schale und ist derzeit Altenpflege-Schülerin im dritten Ausbildungsjahr. Weil sie gerne mit Menschen arbeitet, hat sie sich für diese Ausbildung entschieden, erzählt sie. Sie sei stolz, dass sie die Ausbildung machen dürfe, fügt sie hinzu. Anastacia Gartung spricht leise und schaut dabei ernst in die Runde. Karl Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, ist einer der aufmerksamen Zuhörer. Die anderen aus der Runde sind Sprachlehrer*innen des KAB-Bildungswerkes, Vertreter*innen eines überregionalen Pflegedienstes und ehrenamtlich Engagierte aus der Arbeit mit Geflüchteten. Josef Mersch vom KAB Bildungswerk und Annette Wendland, evangelische Pfarrerin und Sprachlehrerin aus Schale hatten den Minister zum Gespräch eingeladen.
„Bei den Gesundheitsberufen gibt es eine verdammt hohe Hürde.“
Die Liste der Erfahrungen, die die Teilnehmenden vortragen, ist lang – von den Erfolgen der Sprachkurse in Schale und Recke, von Kettenduldungen und fehlenden Dokumenten, von den Enttäuschungen der Sprachschüler*innen, wenn ihre Schulabschlüsse in Deutschland nicht anerkannt werden und sie deshalb die ersehnte Ausbildung nicht antreten können. So wie bei Zahra Alazaz, die nach der einjährigen, erfolgreichen Ausbildung zur Pflege-Assistenz nicht in die dreijährige Fachausbildung wechseln darf, weil sie nicht mehr ihren Pass besitzt, den sie für die Anerkennung des Abiturzeugnisses aus Syrien bestätigt. Die junge Syrerin hat ihre Assistenzausbildung mit glänzenden Noten abgeschlossen. Trotzdem ist der Assistenzabschluss für sie eine Sackgasse in der Pflege. Weil, so erklärt NRW-Minister Laumann, „es bei den Gesundheitsberufen eine verdammt hohe Hürde gibt.“ Die Ausbildung zu Gesundheitsberufen wird durch ein Bundesgesetz bestimmt. Das Gesetz regelt in diesem Falle auch, dass Zahra Alazaz ohne ihren anerkannten Schulabschluss keinen Fachberuf in der Pflege lernen darf. Auch den Länderregierungen wie der in Nordrhein-Westfalen sind damit die Hände gebunden.
Anerkennung von Schulabschüssen und fachspezifischen Sprachunterricht.
Zahra Alazaz und Anastacia Gartung meistern ihre jeweiligen Ausbildungen in ihrer deutschen Fremdsprache beeindruckend – doch Josef Mersch, der die Sprachkurse seit 2016 organisiert, kennt die Schwierigkeiten, die erwachsene Geflüchtete in Ausbildungen häufig haben: „In Berufsschulen stellen Lehrende und Schülerinnen fest, dass die erworbenen Alltags-Sprachkenntnisse nicht für den theoretischen Fachunterricht ausreichen“, sagt er. Mersch plädiert dafür, Modelle zu entwickeln, wie Pflege-Schulen mit anderen Bildungsträgern gemeinsam Förderunterricht oder berufsvorbereitenden Unterricht für Pflege-Auszubildende anbieten können. Berufsvorbereitungsmonate müssten dann, so die Forderung, zu den Ausbildungszeiten gerechnet werden. Nur dann können Geflüchtete diese Förderung nutzen, unabhängig von ihrem aktuellen Aufenthaltsstatus.
In Deutschland herrscht Fachkräftemangel. Mehr noch. Es herrsche Arbeitskräftemangel, weiß auch Arbeitsminister Laumann. Das Potential, das durch die Integration von geflüchteten Menschen da sei, sei noch nicht ausgeschöpft, sagt er und räumt ein, dass im Bereich Anerkennung von Schulabschlüssen anderer Länder noch einiges zu tun sei. Er verweist auf die Einrichtung der zentralen Stelle zur Anerkennung von Pflegeabschlüssen, die bei der Bezirksregierung in Münster angegliedert ist.
Politik für geflohene Menschen braucht Zusammenarbeit vieler Stellen.
Viele Behörden und viele verschiedene Zuständigkeiten sind verflochten, wenn man über die Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt spricht. Das wird in dem Gespräch deutlich. Da geht es um Bundesgesetze und Handlungsspielräume der Länder und Kreise, um Aufenthaltsrecht und Asylpolitik, um Bildung und Kultushoheiten, um Arbeitsrecht und Arbeitsmarkt. Es geht darum, dass ein Bildungssystem keine Sackgasse sein darf sondern durchlässig sein muss. Und es geht um menschliche Schicksale. Darum, wie zermürbend es für die Geflüchteten ist, immer wieder befristete Duldungen beantragen zu müssen – trotz Arbeit und trotz Integration. Oder darum, dass jene, die vor Gewalt und Verfolgung in ihrem Land geflohen sind, hier aufgefordert werden, „ihre“ Botschaften aufzusuchen.
Karl Josef Laumann bleibt lange im evangelischen Pfarrheim in Schale, dort, wo vier Tage die Woche Sprachunterricht für über 40 Menschen stattfindet. Er hört zu, erklärt, schätzt ein, wehrt ab, schreibt auf. Nicht jede Forderung der Gesprächspartner*innen trifft auf seine Zustimmung, nicht jede seiner Erklärungen auf das Verständnis der Zuhörenden. Doch das Gespräch ist offen und sachlich. So wie es ist, wenn Menschen zusammentreffen, die aus unterschiedlichen Richtungen kommend das Bestmöglichste erreichen wollen.
Text und Foto: Heike Honauer, KAB
Bildung darf keine Sackgasse sein.
NRW-Minister Karl Josef Laumann (hintere Reihe, 2.v.li) besucht die Sprachkurse im evangelischen Pfarrheim in Schale. Sprachlehrerin Annette Wendland (vorne) erklärt den Sprachschüler*innen die politische Rolle des Landtags.
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